Ein Abendstart sollte es sein, zur Vorbereitung für PBP und um noch etwas vom Wochenende zu haben. Auch der hundertste Blick auf das Regenradar ändert leider nichts und pünktlich zum Start am Amstelhaus fallen die ersten Tropfen. Also Regensachen an, das Setup will ja auch getestet werden.
Auf Wunsch von Mitfahrern gleich nach den ersten 10 Minuten wieder untergestellt – vielleicht zieht die Wolke ja vorbei? Damit hatte sich der Plan, die ersten Kilometer in einer größeren Gruppe mitzufahren, gleich erledigt. Es gießt aber auch ordentlich. Als es ein wenig weniger regnet, radeln wir zu viert weiter bis zum nächsten Guss, diesmal von Donnergrollen begleitet. Auch eine halbe Stunde unter dem Vordach einer Ladenzeile ändert leider nichts daran. Also weiter, erstmal aus Berlin raus. Nach 50 km ist der Wolkensaum erreicht, alle pitschnass und zwei Mitfahrer entscheiden, doch lieber wieder nach Berlin abzudrehen. Da waren’s nur noch zwei und eine davon braucht den 600er.
Immer noch motiviert und ein bisschen fatalistisch stellen wir uns auf die Nachtfahrt ein. Nach dem hakeligen Anfang finden wir schnell zu einem harmonischen Rhythmus und es geht locker und einigermaßen zügig voran durch die dampfende Landschaft. Sonnenuntergang – fantastisch. Kleine Dörfer, in denen uns die Dorfjugend feiert (zumindest kam es uns so vor), dunkelste Waldwege – und schon wieder Morgendämmerung. Nebelmeere, Bäume tauchen daraus auf – einfach großartig und Kopf und Beine sind noch frisch. Rings um uns Felder, Wiesen, hin und wieder eine Ansammlung von Häusern. Immer wieder fahren wir durch dichten Nebel, dann reißt er auf und die Sonne erscheint am Horizont. Warum schlafe ich eigentlich sonst zu dieser Zeit?
Zwischendurch, in der Nacht, treffen wir immer wieder Randonneure, auch zwei Randonneurinnen und ein Fahrer mit Liegerad sind dabei. Wie er es über die sandigen Plattenwege schafft? Es soll einige Ausdrücke dafür gegeben haben. Man überholt sich, macht Pause, wird überholt, trifft sich wieder. Ein weißes Licht blendet am rechten Straßenrand – kurz muss der Kopf sortieren, was das ist, dann sind wir schon fast vorbei an dem Pärchen, das den ersten Schlauch flickt. Beide kommen zurecht, also weiter. Straßen, Plattenwege, Felder, Dunkelheit: GPS weist uns zuverlässig den Weg. Wie ging das bloß ohne in der Nacht? Auch eine Frage, der wir nachgehen.
Dann schon wieder ein gleißendes Licht, nein, sogar zwei. Alex steht auf dem Weg und ruft uns zu, ob wir eine Nadel dabeihaben. Eine Nadel? Wir halten und es stellt sich heraus, dass er seine Steckachse zwar gut herausbekam, nun aber nicht mehr hereindrehen kann. Jens kennt das Problem, der andere Randonneur, der dabei war, zieht dankbar weiter. Das Gewinde gesäubert, nochmal versucht – nichts geht. Also hilft nur die Jens-Methode: mit Schmackes wieder reindrehen. Ob das Gewinde das aushält? Egal, auch Alex braucht den 600er noch! Es klappt fast ganz. Das Singen von Alex Scheibenbremsen wird uns am Ende noch begleiten und zu einem vertrauten Anker in der Nacht. Aber dazu später.
Ein kleines Stück fahren wir zu Dritt weiter, dann bleibt Alex zurück und wir sind wieder zu zweit. Am nächsten Morgen wird er uns in der Pause wieder überholen, um dann nicht mehr gesehen zu werden. Wir sind beeindruckt und freuen uns, als er zwischen den Bäumen steht und aufnimmt, wie wir vorbeifahren. Fröhliche Grüße und weiter geht es. Langsam fängt die Sonne an zu wärmen, Jacke, Weste, Beinlinge wandern in die Tasche zu den feuchten Regensachen. Mutig ziehe ich die Überschuhe aus, die das Wasser in den Schuhen warmgehalten haben. Ich frage mich, wie lange Schuhe und Socken zum Trocknen brauchen.
Es wird ein schöner Morgen. Wir reden, schweigen, wechseln uns ab und freuen uns über die bildschöne Landschaft. Die Ostsee kommt näher und zur Frühstückszeit erreichen wir Barth. Kurz zum Hafen, Foto für die Homologation, alles ist noch morgendlich verschlafen. Den Umweg in die Stadt, um nach Frühstück zu suchen, sparen wir uns und fahren stattdessen weiter nach Prerow. Hier endlich ein Bäcker, ein Supermarkt und ein Tisch in der Sonne. Der ist bald gefüllt mit einer Auswahl an Brötchen, Kuchen, einem extragroßen Capuchino und Getränken. Drum herum drapieren wir Schuhe, Sohlen, Jacken und alles, was möglichst bald wieder trocknen sollte. Herrlich, der heiße Kaffee, die sonnenwarmen Steine unter den Füßen und der Rhabarberkuchen! Randonneure kommen und gehen, von der Bäckersfrau erfahren wir die neusten Neuigkeiten – einigen waren schon da, eine Frau bisher noch nicht und einen Fuchs-Unfall soll es gegeben haben, der Krankenwagen musste kommen.
Die Pause war erholsam und mal wieder zu lang. Aber wir wollen die Fahrt ja auch genießen. Guten Mutes radeln wir weiter – schließlich geht es von hier mit Rückenwind zurück. Den Darß umrunden, kurz ein Strand-Foto, schnell weg von der Touri-Straße und weiter nach Süden. Fängt da etwa der Hals an zu kratzen? Egal, dem Körper geht’s gut und bald ist das zweite Drittel geschafft. Wieder Pause, die Füße schmerzen und die Blase meldet sich, Gebüsch gibt es genug. Da kommt von der Straße ein großes Hallo – Dani, Stefan und Alex! Schnell zum Rad, da sind sie schon vorbei – aber sie warten auf uns! Dankbar holen wir auf und sind froh über den Windschatten. Bis Berlin ist es schließlich noch ein Stück. Fröhlich werden die neusten Neuigkeiten ausgetauscht und die Zeit vergeht im Flug. Nach und nach stoßen weitere Randonneure zu uns. Der Himmel verdunkelt sich, erste Tropen fallen, ein Schauer begleitet uns und scheint gar nicht wieder aufzuhören. Kurz vorher freue ich mich über die trockenen Füße, nun sind sie wieder nass. Immer wieder fahren wir über Wege, die von Wasser und Sand geflutet wurden. Einmal ist auch ein Hagelfeld dabei, in dem die Körner einen halben Meter hoch liegen.
Wir sind bei Kilometer 450. Ab dann beginnt der Brevet, wie Jens aus seiner Erfahrung zu berichten weiß. Für mich ist es der erste 600er, ich warte also gespannt und etwas besorgt, ob er Recht behält. Es wird langsam stiller. Beine, Rücken, Füße, Kopf sind noch gut zurecht – aber die Knie! Die melden sich schon länger von Zeit zu Zeit, und nun wird es eklig. Ich nutze jede Gelegenheit, nicht zu treten, doch es hilft ja nichts, die Hügel liegen hinter uns und gleichmäßiges Kurbeln ist gefragt. Die letzte Kontrolle naht, 120 km vor Berlin. Wieder ein großes Hallo, Georg stößt zu uns und begleitet uns auf dem Rest des Weges! Auch Christoph treffen wir hier wieder, den wir beim ersten Regenstopp verloren hatten. Etwa zehn Minuten vor uns, hat ihn der letzte Schauer nicht erwischt. Verstohlen krame ich meine Notfall-Ibus raus. Das ist jetzt ein Notfall.
Eine Viertelstunde später sind die Schmerzen weg. Welche Erleichterung. Das Tempo ist gut, die Gruppe harmoniert, nun beginnt der Kampf gegen die Müdigkeit. Vielleicht wäre ein kurzer Powernap in der warmen Sonne doch eine gute Idee gewesen? Wieder etwas gelernt. Also quatsche ich die Nachbarn an, esse alles auf, das Koffein enthält und süß ist und konzentriere mich darauf, nicht einzuschlafen, bis das Licht der Stadt und das Stop-and-go an den Ampeln mich wachhält. Mit etwas Mühe gelingt das auch. Irgendwie geht es endlos durch die Stadt, ich bin froh, dass ich nur noch der Gruppe folgen muss, denn Navi und Verkehr unter einen Hut zu bekommen fällt mir langsam schwer. Gut, dass Georg ab und zu zum Sprint auffordert und alle Partygänger zum Jubeln animiert.
Irgendwann stehen wir dann tatsächlich vor dem Amstel-Haus. 609 km geschafft! Glückwünsche werden ausgetauscht, Lasagne gegessen, Erfahrungen geteilt. Es war schön, nass, lang und auch hart. Aber nicht anzukommen, war nie eine Option.
Gute Besserung an die verunglückten Randonneure! Und ein riesengroßes Dankeschön an Ingo und Sascha, die uns mal wieder ein einmaliges Erlebnis bereitet haben.