Bikeconvoy for Ukraine – ein Bericht

Am 5. Juli starteten in München Etappenfahrer mit dem Rad und am 7. Juli die Brevetradler mit Ziel Lwiw, Ukraine. Der Bikeconvoy for Ukraine ist eine private Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat über Spender, Sponsoren und Trikotverkäufe möglichst viel Geld zusammenzubringen. Die Aktion war ein großer Erfolg. 14 Rettungswagen konnten angeschafft und übergeben werden. In Przemysli nahe der polnisch-ukrainischen Grenze vereinten sich am 11. Juli Etappenfahrer, Brevetradler und Rettungswagen. Hier wurden wir vom Bürgermeister der Stadt und dem deutschen Generealkonsul feierlich zur letzten Etappe nach Lwiw verabschiedet.

Hier wurden wir vom Bürgermeister der Stadt und dem deutschen Generealkonsul feierlich zur letzten Etappe nach Lwiw
verabschiedet.

Vorne rechts im Bild der Autor des Berichts.

Weil selbst eine Lagerhalle am Stadtrand von Lwiw, in der sich humanitären Hilfsgütern stapeln, für die russische Armee ein Angriffsziel darstellt, mussten wir an den Smartphones die Standortbestimmung und unsere Rad-Navis ganz ausschalten. Auch sollten wir keine Fotos und Videos versenden.

In der Lagerhalle hatten unsere ukrainischen Partner für uns eine Willkommensfeier vorbereitet. Es wurden wenige Reden und viel Wodka und noch viel mehr Essen aufgetischt.

In ihren Reden betonten die Ukrainer vor allem, wie wichtig es ist, dass die internationale Hilfe und Unterstützung nicht nachlassen. Gerade jetzt wo der Krieg bereits vier Jahre andauert und die ukrainische Bevölkerung langsam davon zermürbt ist.

In der Nacht Sirenengeheul. Luftalarm! Wir waren vorher belehrt worden, was dann zu tun ist und gingen zügig in den Schutzraum des Hotels. Als nach einer Stunde ukrainische Familien den Schutzraum aufsuchten, wussten wir, dass es Draußen ernst wurde. Später erfuhren wir, dass 150 Drohnen und mehrere Marschflugkörper im Anflug auf Lwiw gewesen sind. Der schwerste Luftangriff seit 3 Jahren in der Westukraine.

Am nächsten Tag fand auf dem zentralen Platz der Stadt die Übergabezeremonie statt. Jeder Rettungswagen wurde einzeln an die jeweilige Militäreinheit übergeben.

Das ergab 14 kurze, bewegende Dankensreden, die mit „Ehre der Ukraine!“ endeten. Worauf alle im Chor erwiderten: „Den Helden Ehre!“

Und es gab 14x Geschenke für die vier Münchner Initiatoren des Bikeconvoy und Ehrenmedaillen für den Bamberger Verein, der alles organisiert hatte, einschließlich Kauf der Rettungswagen und Ausfuhrpapiere.

Zur traurigen Wahrheit dieses Krieges gehört, dass Rettungswagen von der russischen Armee als legitimes Angriffsziel betrachtet werden. Ganz gezielt wird die linke Fahrerseite der Fahrzeuge beschossen. Aus diesem Grund sind britische Rechts-Lenker-Modelle besonders gefragt. In diesen hat der Fahrer eine höhere Überlebenschance.

Uns wird gesagt, dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass nach ca. 2 Wochen im Einsatz der erste Rettungswagen nicht mehr funktionstüchtig sein wird. Das kann bedeuten, dass einer der 14 Fahrer, die wir bei der Zeremonie erlebt haben, bereits jetzt nicht mehr am Leben ist.

Jedes Mal, wenn ein Trauerzug oder Leichenwagen durch die Stadt fährt, knien die Passanten auf dem Bürgersteig nieder, um den Toten die letzte Ehre zu erweisen.

Nach der Übergabezeremonie bekamen wir eine Stadtrundführung, die am Marsfeld endete. Hier werden die Gefallenen der Stadt beerdigt. Unsere Organisatoren legten einen Kranz nieder, während ich durch die Grabreihen schlenderte. Immer wieder las ich auf den Grabinschriften die Geburtsjahrgänge meiner Kinder (1999 und 2001) und auch meinen (1968) entdeckte ich.

Zum Abschluss sagte der Stadtführer: Kommt wieder zurück nach Lwiw, wenn Frieden ist und erzählt allen, wie wunderschön die Stadt und wie gastfreundlich die Menschen sind.

Anschließend wurde uns eine Orthopädiewerkstatt und Ausbildungsstätte gezeigt. Der Bedarf an Arm- und Beinprothesen ist riesig. Das war bereits beim Stadtrundgang nicht zu übersehen gewesen. Danach ging es in ein Krankenhaus, dass sich auf Schwerstverletzte spezialisiert hat und das daran angeschlossene Rehabilitationszentrum. Der technische Leiter erklärte uns, dass es in diesem Krieg kaum die klassischen Schussverletzungen gibt. Durch den massenhaften Drohneneinsatz sind die häufigsten Verletzungen, die an Augen und Ohren und an den Beinen. Die Krankenhauszimmer und Flure waren voll von Personen, denen Beine oder Arme oder beides amputiert wurden und die jetzt auf Prothesen und auf eine psychologische Betreuung warteten. Viele sind nicht nur durch Kämpfe und Verletzungen, sondern auch durch Folter traumatisiert. So wie das Rehazentrum nennen sie sich „Unbroken“. Auf die Frage, was sie am dringendsten benötigen, antwortete der technische Leiter: Alles. Wir brauchen Ausrüstung, angefangen von Medikamenten und Verbandszeug bis zu medizinischem Gerät. Wir brauchen mehr Krankenhausbetten und wir brauchen mehr Personal, von Krankenpflegerinnen bis zu Ärztinnen und natürlich Krankenwagen.

Zum Abschluss der zwei Tage in Lwiw gab es ein traditionelles ukrainisches Rippchenessen. Unsere ukrainischen Gastgeber hatten dafür ein hippes Lokal ausgesucht, dass es so ähnlich auch in Berlin oder München geben könnte. Schnell wurde die Stimmung ausgelassen.

Der Bus, der uns zur Grenze bringen soll, quälte sich noch durch den Lwiwer Feierabendverkehr, da hörten wir erneut Sirenenalarm. Schweigsam und nachdenklich starrten wir auf die uns bereits durch die vorherige Nacht gut bekannte App alerts.in.ua. Unsere Organisatoren besprachen sich mit dem Busfahrer und den ukrainischen Partnern. Der Busfahrer überflog schnell ein paar private Kanäle, dann entschied er: In unsere Richtung kommt nichts. Wir fahren weiter.

In einigen Kreisverkehren begannen sich Militär-Pick-up mit schwerem MG zu postieren, um Drohnen abzuschießen. Über das Busmikrofon kam die Durchsage, dass wir nicht erschrecken sollen, wenn auf der linken Seite Kampfflugzeuge vorbeidonnern. Diese fangen die Marschflugkörper ab.

Zurück in Polen spürte ich noch nie so deutlich wie in diesem Moment, dass es nur eine schmale Grenze ist zwischen Krieg und Frieden. Wir nahmen uns ganz fest vor davon zu berichten, so wie es uns unsere ukrainischen Partner aufgetragen haben, vom Krieg, der nur vier, fünf Fahrradetappen von uns entfernt tobt und täglich Menschen tötet und verstümmelt, und von den extremen Wechselbädern zwischen Ausnahmezustand und Normalität, zwischen Todesangst und Lebenslust, die die Ukrainer seit 4 Jahren täglich erleben.

Jede Geldspende, jede Sachspende, jedes Mitmachen in Initiativen und Vereinen, jedes Kontakte vermitteln, alles wird gebraucht, alles hilft den Menschen in der Ukraine.