Hanse-Brevet

1019km, ca. 6000hm

Hier ein Bericht aus dem Rennradforum, etwas zahlenlastig, aber die Geschichten von und mit Klaus Erdmann, einem 2013 schon 70-jährigen Randonneur, werden immer wieder gern erzählt und gehört.

Auch Dietmar hat natürlich was geschrieben.

Die offizielle Seite von Ralf , inklusive Ralfs Streckenphilosophie und Berichten und Bildern vieler Mitfahrer.

Hier mein allererster „Bericht“ von damals (2013):

Ca. 25 Teilnehmer starteten um 10.00Uhr, vom Amstel Hostel zum Hansebrevet. Das Wetter war optimal, Sonnenschein und nicht zu heiß. Stadtauswärts ging es mehr oder weniger noch in größeren Gruppen durch Pankow Richtung Liebenwalde und Zehdenik, da war jetzt nicht so viel Neues zu entdecken. So konnte sich aber auf den ersten Kilometern die Aufregung etwas legen. Schon zwei Wochen vor dem Start konnte ich an nicht viel anderes denken als an diese Radtour. Was nehme ich mit, wie verpacke ich alles, ist das Rad richtig eingestellt, funktioniert das Navi so wie es soll?

Bis kurz vor Templin fuhr ich in der Gruppe mit Ralf mit. Nachdem der mich mit der Bemerkung „Du scheinst grad etwas einzubrechen“ vorne ablöste, hab ich beschlossen, erst mal etwas langsamer alleine weiterzufahren. In Anbetracht der noch zu bewältigenden Strecke fand ich das Tempo tatsächlich etwas sportlich. In Templin ist dann eine große Gruppe aufgefahren, mit der ich eine Weile mitfuhr. Es fiel mir aber schwer, mich dem Rhythmus der Gruppe anzupassen, so dass ich bald wieder alleine war.


Bis kurz vor Anklam habe ich keinen besonderen Erinnerungen mehr, das Wetter hat sich trotz einiger dunkler Wolken sehr gut gehalten, es wehte aber ständig ein leichter Gegenwind. An den Kontrollen gab es Würstchen mit Brötchen oder Kartoffelsalat und Cola. Noch haben sich an den Kontrollen mehrere Fahrer getroffen, was später aber seltener wurde. Der Radweg kurz vor Anklam mit hohem Schilf links und rechts weckte in mir Erinnerungen an meine erste Langstreckenfahrt vor 5 Jahren von Berlin nach Usedom. Damals haben wir in Anklam unter der Autobrücke übernachtet und sind erst am nächsten Tag die restlichen Kilometer zum Ostseestrand gefahren. Seitdem bin ich mit dem Langstreckenvirus infiziert und es wird nicht besser. Auf der Fußgängerbrücke in Anklam habe ich kurz Fotopause gemacht. Diese Chance hat ein netter Rentner ergriffen und mir eine gefühlte Stunde lang erzählt, wo ich denn mit dem Rad unbedingt langfahren muss, weil es da besonders schön ist. Ich weiß jetzt auch, was seine Kinder so machen, wo sie wohnen, dass er auch viel Sport treibt und dass man nach der Wende ja so viele Möglichkeiten hat.

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Weiterhin allein ging es weiter bis Gummlin, wo die erste Kontrollfrage zu beantworten war, und danach weiter nach Bansin. Eigentlich wollte ich dort „richtig“ essen, aber da der Track zuerst an einem Supermarkt vorbeiführte, ist es wieder nur ein schneller kalter Imbiss geworden. Hier traf ich auch die beiden Belgier, die kurz vor mir da waren. Gemeinsam rätselten wir, ob der Kassenbon als Beleg für die freie Kontrolle wohl ausreicht. Sicherheitshalber fotografierten wir uns gegenseitig vor wunderschöner Lidl-Kulisse. 225km waren also um 20.00 Uhr geschafft, Zeit für Nachtkleidung. Bisher verlief die Fahrt perfekt, ohne Pannen, ohne Regen und ohne Verfahren.

Nur an das was noch vor mir lag durfte ich nicht denken. Aber die Nachtpause vor der Fähre in Stahlbrode war ja schon in greifbarer Nähe, noch ca. 120km. Durch Wolgast bin ich scheinbar blind durchgefahren, keine Erinnerung. Sehr beeindruckend war unterwegs der Nebel, der flach über den Feldern umherwaberte und an einigen Stellen über die Straße floss.

 Als es dann völlig dunkel war, hatte man einen faszinierenden Blick auf den klaren Sternenhimmel. Ich hatte nicht wenig Lust, mich einfach aufs Feld zu legen und Sterne zu gucken. An der Kontrolle in Grimmen war ich dann schon etwas fertig, so dass ich es nicht in Erwägung zog, den Umweg über den Rügendamm Richtung Binz zu fahren. Einige andere Fahrer, die ich an der Kontrolle traf, haben das dann wohl so gemacht. Ich freute mich, dass es bis Reinberg, kurz vor der Fähre in Stahlbrode nur noch ca. 20km waren. Dank GoogleMaps wusste ich, dass es in Reinberg eine Sparkasse gibt, dort wollte ich übernachten. Ca. halb drei bin ich dort endlich angekommen und es gab auch wirklich einen nutzbaren Schalterraum, der noch leer war. Einen Wecker brauche ich nicht, dachte ich mir, so bequem ist es ja nun auch nicht. Kurz nach mir kam Ralf an, von dem ich dachte er sei längst über alle Berge (oder Brücken). Im Halbschlaf hab ich weitere Radler kommen und gehen gehört Als ich dann doch mal die Augen aufgemacht habe, hab ich mit Erschrecken festgestellt, dass es bereits hell war, also nach 6.00 Uhr. Die erste Fähre, die ich eigentlich nehmen wollte, war weg. Auch Gerhard war noch da und an der Fähre trafen wir noch einen Kollegen, der etwas vor uns losgefahren war. Gemeinsame Fährüberfahrt bei Sonnenaufgang, sehr schön.

Da mein Reisetempo wieder nicht mit den Anderen harmonierte fuhr ich schon mal vor bis nach Putbus, wo es bei einem Bäcker bei Sonnenschein und schon sehr angenehmen Temperaturen Frühstück gab. Auch meine Übernachtungskollegen kamen kurz darauf an, wir fuhren aber wieder alle getrennt los. Jetzt ging es weiter zur Kontrolltanke in Binz, keine 15km entfernt. Durchschnittsgeschwindigkeit seit der letzten Kontrolle: erschreckende 6,6km/h.

Da meine Eltern in Glowe Urlaub machten, kündigte ich mich für 11.00 Uhr zum Duschen an. Bis dorthin war es aber noch ein zähes Stück Radweg mit Gegenwind, was mich viel Kraft gekostet hat. Bei meinen Eltern am Wohnmobil geduscht (mit sehr interessierten Zuschauern), gegessen und neue Hose angezogen. Die Alte (Hose) hat Mutti schnell noch gewaschen, so dass ich die dann am nächsten Tag nochmal anziehen konnte, sehr luxuriös. Alles in allem aber auch wieder 1 Stunde Stillstand.

Jetzt aber schnell zum Kap Arkona und die zweite Kontrollfrage beantworten. Massen von Menschen!


Eigentlich wollte ich gleich weiter, aber als ich Frank und Gerhard da beim Weizen sitzen sah, konnte ich auch nicht anders. Wir fuhren dann noch teils gemeinsam bis zur Wittower Fähre, dann aber größtenteils jeder für sich weiter Richtung Stralsund. Inzwischen war ich auch nicht mehr schneller als 22km/h und ein Blick auf die Gesamtkilometer ließ meine Motivation immer tiefer sinken, noch nichtmahl die Hälfte! Meine Handballen waren rot, taub, taten weh, ich wusste nicht mehr, wie ich den Lenker anfassen sollte. Der Hintern tat schon nicht mehr weh aber Kraftreserven hatte ich keine mehr. In einen Zug setzen und auf dem Heimweg etwas schlafen war eine schöne Vorstellung. Aber zum Bahnhof muss man auch erst mal kommen, der Zug muss auch erst mal da sein und eigentlich lief ja alles bestens.

Hätte ich einen Platten oder eine andere Panne hätte ich wahrscheinlich ernsthaft ans Abbrechen gedacht. Aber so kämpfte ich mich über meine mit Abstand „beliebteste“ Straße um Rad zu fahren, die B96 auf Rügen. Stralsund war aber schnell erreicht, hier ging es kreuz und quer durch kleine Kopfsteinpflasterstraßen. Am Stadtausgang gab es wieder eine Pause in einem Supermarkt, dann weiter über Radwege und nur schwach befahrene Straßen Richtung Rostock, wo die Warnow-Fähre das nächste Etappenziel darstellte.


Auf dem Weg dahin besserte sich mein Gemütszustand langsam wieder, ab jetzt war ich ja auch auf dem „Rückweg“. In Warnemünde wollte ich dann was „richtiges“ essen und mich nachtfertig machen. Nach der Fährfahrt gab es wieder eine harte Probe, man musste mit seinem Rad direkt durch den Bahnhof schieben, schnell durch, sonst kommt man noch auf falsche Gedanken. Dahinter gab es debile Touristenunterhaltung und zum Abendbrot Döner. Einen von der schlechtesten Sorte (wieder falsch gewählt). Schnell noch zu Hause Gute Nacht gesagt und die Nachtklamotten angezogen, bis zur nächsten Kontrolle in Kühlungsborn ist es jetzt auch nicht mehr weit. Und irgendwo kurz dahinter hatte Phelim, der wegen Erkältung nicht mitfuhr, Grill und Nachtlager aufgebaut. Das war zumindest ein Anreiz. Leider hab ich dann wohl in der Dunkelheit das angekündigte Hinweisschild an der Straße übersehen und bin dran vorbei gefahren. Trotzdem Danke für dieses Etappenziel! Naja, nächstes größeres Ziel war Wismar, da wollte ich noch durch und dann eine Schlafpause machen. Sehr kalt war es nicht, so dass ich kurz hinter Wismar neben der Straße direkt ins Gras legte. Diesmal aber nur für zwei Stunden und mit Wecker. Es wurde dann aber doch etwas kälter, so dass ich in meinen untergelegten Rettungsschlafsack reinkrabbeln musste. Das war dann warm aber auch schön feucht. Wieder aufs Rad gequält, das nächste Ziel war die Fähre in Travemünde, 30km. Auf diesem Teilstück habe ich Igel lieben gelernt, die plötzlich vor meinem Rad auftauchten. Die Ausweichmanöver sind zum Glück gut gegangen, was in meiner Verfassung nicht selbstverständlich war. Wie ist das wohl, mitten über einen Igel zu fahren? Dann wurde es langsam hell. In einem Ort musste durch eine Baustelle geschoben werden, was aber als Abwechslung sehr angenehm war. Dann war auch schon die Fähre erreicht. Ca. 7.30 Uhr gab es dann auf der anderen Seite endlich ein etwas ausgedehnteres Frühstück bei einem Bäcker direkt an der Trave, so dass die riesigen Fährschiffe bei Sonnenaufgang direkt am Fenster vorbei fuhren. Da hätte ich noch ewig sitzen können. Aber ich hatte ja mein Ziel noch nicht aufgegeben und musste also weiterfahren. Und welche Überraschung, Ralf und ein paar andere Radler kamen gerade von der Fähre gerollt. Sie hatten Phelim gefunden und dort übernachtet. So konnten wir gemeinsam bis zur nächsten Kontrolle in Sereetz fahren. Hier hat sich keiner lange aufgehalten, da die Anderen erst in Lübeck frühstücken wollten. Ich bin ab dort alleine weiter und wollte dafür in Schwerin eine schöne Mittagspause machen.

Aber ab hier kam es dann doch ein bisschen anders. Mein neu erworbenes Navi schaltete sich ab und ließ sich nicht mehr einschalten. Zum Glück erst nach dem hin und her in Lübeck. Die Ursache war mir rätselhaft. Für den Notfall hatte ich mir das Roadbook und die Karten auf A5 ausgedruckt, doch etwas klein, wie sich zeigte. Das Fahren nach Analogkarte schärft nochmal etwas mehr die Sinne für die Umgebung, aber es funktionierte bis Schwerin ganz gut.

Vor Schwerin bog ich dann aber falsch ab, so dass ich aus einer anderen Richtung in die Stadt reinfuhr und das Roadbook nicht mehr stimmte. Aus der gemütlichen Mittagspause ist so eine stressige Suche nach dem richtigen Weg geworden. Normalerweise ist so was ja nicht der Rede wert, aber in meiner Verfassung war jeder zusätzliche Kilometer die reinste Zumutung. Im Stadtzentrum gab es zum Glück eine Übersichtskarte, auf der Rampe, der nächste Kontrollpunkt, schon zu sehen war. Dorthin ging es nach einer Baustelle, Fußgängerzonen und üblen Radwegen über einen sehr schmalen Radweg, parallel zur B104. Von weitem sah ich noch, wie auf diesen eine ca. 40-köpfige Radlertruppe einbog, ein Überholen war nicht möglich, so dass ich ein paar Kilometer mit Tempo 12 hinter denen her zuckeln musste. Das hat auch nicht gerade zu meiner Entspannung beigetragen.

Der Kontrollpunkt war wieder eine Tankstelle, also nichts Richtiges zu essen. Ich bin schnell weiter, um dann im nächstbesten Restaurant endlich Mittag zu essen. Blöd nur, dass das nächste Restaurant erst in Lübz kam (zumindest habe ich vorher keins gesehen). Trotz jetzt herrschenden leichten Rückenwind war dieser Abschnitt eine ziemliche Quälerei. In Lübz habe ich ein schönes Restaurant direkt an der Eldebrücke gefunden. Hier gab es Abendbrot, etwas Körperpflege und die von Mutti gewaschene neue Hose. Das Essen musste ich mir aber trotz offensichtlichem Nahrungsdefizit reinquälen, geschmeckt hat es aber wahrscheinlich. Weiter ging es jetzt schon viel optimistischer Richtung Röbel, der nächsten Kontrolle. Ich hatte sogar wieder einen Blick für die schöne Umgebung in der einsetzenden Abenddämmerung.

In Röbel kam kurz nach mir Christoph an, der in Schwerin ebenfalls eine längere Zwangspause wegen eines Defekts einlegen musste. Ich wollte eigentlich nur noch aus Röbel raus und die nächstbeste Schlafgelegenheit suchen, um vor der Zieletappe noch 2 Stunden zu schlafen. Aber Christoph war noch motiviert, so dass wir gemeinsam doch noch gut 30 km durch die Dunkelheit Hügel hoch und runter gefahren sind. Auch wenn man nicht Windschatten fährt, ist man zu zweit doch zügiger unterwegs, bzw. die Zeit vergeht schneller.

In Flecken Zechlin war dann aber doch eine Wanderhütte zu verlockend und Christoph fuhr allein weiter. Bis zum Ziel durchzufahren hätte ich aber auf keinen Fall geschafft. Ich glaube, gegen 2.00 Uhr ging es dann weiter zur letzten Kontrolle in Neuruppin. Um die zu finden musste ich abermals ein paar Zusatzkilometer absolvieren, da mein Navi ja noch immer nicht funktionierte. Ab jetzt war Endspurt, mit satten 23km/h. Die Hinweise darauf, dass Berlin ganz in der Nähe sein muss, verdichteten sich und es wurde langsam hell. Ein letztes Highlight stand mir noch bevor, die Schönwalder Alle, ca. 7km Kopfsteinpflaster vor Berlin. Als es dann soweit war, freute ich mich sogar, denn jetzt war ich ja gleich da. In Berlin bin ich wahrscheinlich auch nicht die kürzeste Strecke gefahren, aber das war mir dann auch egal. Ich wusste, dass ich es schaffe und dass ich es im Zeitlimit schaffen würde. Da war ich mir nicht immer so ganz sicher.

Im Ziel waren noch ein paar Kollegen beim Frühstück und beim Erzählen, so konnten gleich die ersten Eindrücke ausgetauscht werden. So wurde auch gleich geklärt, warum das Navi den Geist aufgegeben hat, hätte ich doch wissen müssen, das das Ding nur Aufzeichnungen von <24h verkraftet! Ist ja nur vom Marktführer. Und tatsächlich, nach Entfernen der defekten Datei funktioniert es wieder, Danke für die Tipps!

Fazit:
Es war meine erste 1000km (plus x aus verschiedenen Gründen) Tour. Ich bin froh und stolz, dass ich das (zum großen Teil allein) geschafft habe. Gute Bedingungen, tolle Strecke. Es gab Momente, da hätte ich bei einem Platten oder bei etwas Regen (oder anderen niederen Beweggründen) abgebrochen. Die Kopfsteinpflasterstrecken habe ich zum Glück fast immer im Hellen passiert. Die Essenpausen muss ich das nächste Mal sorgfältiger planen, das spart sicher Zeit und man muss nicht immer an der Tanke essen. An der Auswahl meiner Ausrüstung konnte ich nicht rummeckern, ich hab alles was ich mithatte auch benötigt (außer zum Glück Reparaturzeug). Nur Karten und Roadbook drucke ich nächstes Mal größer aus.

Warum macht man so was: Weil ich herausfinden will (wollte), ob ich´s kann. Weil es mir ein starkes Gefühl von Freiheit gibt, z. B. alleine in die Nacht zu fahren und zu wissen, bei Sonnenaufgang fährt man immer noch. Weil man mit anderen Augen auf seine Umwelt schaut. Weil es eine Art kalkulierbarer Survival / Outdoor – Urlaub ist, ganz anders als der normale Alltag. Und natürlich weil es einfach Spaß macht.