Das fanden am Sonnabend knapp zwanzig Gleichgesinnte eine gute Idee. Eine Stunde vor dem Start in Potsdam hat es nochmal richtig geschüttet, aber pünktlich um acht hatte das ein Ende und das Wasser kam nur noch von unten. Aus Potsdam raus ging es mit angenehm wenig Ampeln, viele verwinkelte, mit Pollern und Schranken verzierte Radwege, auf denen der Winterdreck den Belag kaum erkennen ließ.
Aber spätestens auf dem Havelradweg zwischen Phöben und Brandenburg rollte es etwas flüssiger. Beindruckend viel Wasser links und rechts des Weges. Und die Sonne kam raus und wärmte sogar etwas! Die armen Menschen, die in diesem Augenblick nicht auf dem Rad unterwegs waren!
Auch hinter Brandenburg wurde jede Vorliebe bezüglich Streckenführung und Oberfläche bedient. Sogar Ralf wäre auf seine Kosten gekommen, bei einem Waldweg mit anfangs noch Resten von Straßenbelag, später aufgeweichtem Sand, und zur Krönung eine üble Kopfsteinpflasterabfahrt irgendwo zwischen Ziesar und Bad Belzig.
Aber auch schnurgerade Bahntrassenradwege, Nebenstraßen mit gutem Belag, Radwege durch Wälder mit leuchtend grünem Moosboden waren dabei. Dass Ziesar so ein hübsches Städtchen ist, war mir nicht bewusst, aber Fahrer mit ungeeignetem Material werden hier vielleicht nur das historische Pflaster in Erinnerung behalten. Alles in Allem würde ich sagen, eine zu 80% geeignete Brevetstrecke. Für größere Pulks von Radfahrinnen gibt es streckenweise zu viele Engstellen und den Kopfsteinpflasterhumor im Wald versteht vielleicht auch nicht jeder Randonneur. Und erst recht nicht reine Rennradfahrer.
Apropos: schön, dass auch einige Nicht-Randonneure unsere Webseite und den Weg zum Start gefunden haben! Wie sich schnell herausstellte, gab es aber unterschiedliche Erwartungen an diese Ausfahrt. Für die meisten Randonneure war klar, dass wir im Brevetmodus unterwegs sind. Das heißt, wir starten gemeinsam, fahren zusammen, solange es passt, und freuen uns ansonsten, wenn wir bei einer Pause auf bekannte Gesichter treffen. Dass es keine geführte Gruppenausfahrt im disziplinierten Peloton werden wird, war offensichtlich für einige Mitfahrer überraschend. Das hätte man vor dem Start wahrscheinlich klarer kommunizieren müssen. Zumal die Strecke natürlich nicht nach Pelotonfahrbarkeitskriterien erarbeitet wurde.
Brevetfahren, wie ich es bei den Berliner Randonneuren kennengelernt habe, bedeutet, jede Teilnehmerin ist für sich selbst verantwortlich, vor allem hinsichtlich Verpflegung, Navigation, Material, Reisegeschwindigkeit, etc. Ich kenne und schätze es so, dass man gemeinsam startet, oft in größeren Gruppen, und bis zur ersten Kontrollstelle, wenn es passt, gemeinsam fährt. Dort holen sich die Ambitionierten nur schnell ihren Stempel und hetzen mit Blick auf die Uhr weiter, andere trinken dort noch gemütlich ihren Kaffee. Dabei ergibt sich dann oft, wer mit wem, zumindest vorübergehend zusammen weiter fährt. Es gibt Fahrer, die fahren konsequent ausschließlich alleine, andere fahren 600km von Anfang bis Ende mit den gleichen Mitstreitern zusammen. Ich lasse es meistens auf mich zukommen, und kucke, was sich ergibt. Es gab schon 200er, bei denen die Startgruppe fast unverändert von Anfang bis Ende zusammengebleiben ist, und das Ganze mehr RTF-Charakter hatte. Aber ich bin auch schon 600er fast komplett alleine gefahren. Meistens ist es eine Mischung aus beidem, die den besonderen Reiz ausmacht.
Das man dann z. B. nachts auch in der Lage sein muss, den Weg alleine zu finden, mit Pannen und Problemen umzugehen, sollte klar sein. Aber genau das macht ja den Reiz aus, gegenüber anderen Veranstaltungen, wie RTFs oder Radmarathon-Großveranstaltungen. Es kommt eben noch etwas Radreise und Survival hinzu… Was ich gelernt habe: Wenn man vorhat, mit Anderen gemeinsam zu fahren, oder andere Ansprüchen hat, sollte dies klar kommuniziert werden. Sonst kann es bei abweichenden Interessen in der Gruppe leicht zu Verstimmungen kommen. Nach mehreren hundert Kilometern im Sattel kann man schon mal etwas dünnhäutig werden.
Viele Randonneure sind Individualisten, die Vielfalt der Räder beim Start ist faszinierend, es wird auf Rennrädern, Mountenbikes, Liegerädern, Velomobilen, Bambusrädern, Tandems, Fixies/Singlespeeder, Gravelbikes und Mischungen aus alldem gestartet. Das wohlwollende Begutachten der verschiedenen Gefährte gehört bei jedem Brevet mit dazu. Trotz allem Individualismus erlebe ich, zumindest die Berliner Szene, ausnahmslos hilfsbereit, tolerant und zuvorkommend. Bei Problemen ist das Anbieten von Hilfe eine Selbstverständlichkeit…
(Ein Alt-Randonneur schwafelt rum… aber diese Gedanken hatte ich so im Kopf und es soll nochmal kurz zusammenfassen, was das Langstreckenfahren so ausmacht.)
In diesem Sinne würde ich mich freuen, wenn wir die Idee der „inoffiziellen“ Brevets weiter ausbauen können und trotzdem auch „szenefremde“ Fahrradbegeisterte zu einer Mitfahrt überreden können. Vielen Dank nochmal an Matthew und Andy, die die Initiative ergriffen haben.
Es gibt sicherlich Einige, die auch fertige Tracks und Brevet-Vorschläge in der Schublade haben, und diese gerne mal in der Gruppe auf „Brevet-Tauglichkeit“ testen wollen. Die Länge ist im Prinzip egal. Wenn es eine Strecke ist, die mal ein „echter“ Brevet werden soll, ist bei der Streckenlänge allerdings zu beachten, dass Start und Ziel das Amstel House ist.
Also, immer her mit Euren Strecken- und Terminvorschlägen! Es wird dann auch nur ein ganz kleines bisschen gemeckert über die Unzulänglichkeiten 😊
Alle Fotos ©Andy Puhr, weitere Bilder hier.